...dieser Artikel spricht mir aus der Seele:




Entschuldigen Sie, mein Fräulein, darf ich mir erlauben, Sie anzusprechen? Nein, so geht's nicht. Jedenfalls nicht mehr. Die prüden Zeiten, in denen man sich mit Sitte und Anstand einer Frau näherte, sind ein für alle mal vorbei. Ein perfekter Diener, ein Handkuß und ein paar wohlgesetzte Worte machen nirgendwo mehr Eindruck. Bloß - was macht eigentlich noch Eindruck?

Wie nähere ich mich einer unverschämt gutaussehenden und unverschämt schlechterzogenen Braut, die ich jetzt schon eine Viertelstunde fixiere? Die alten Regeln hatten doch ihr Gutes. Da wußte wenigstens noch jeder, was er sagen mußte. Und Jede, wie sie darauf zu reagieren hatte. Heute sind die Sitten gelockert. Aber leider so locker, daß ich überhaupt nicht mehr weiß, wie ich es anfangen soll. Es herrscht permanente Damenwahl - heute formvollendet, morgen formlos. Und ich liege immer falsch.

Es gibt Frauen, da stehe ich höflich auf, wenn sie den Raum betreten - alles nur in der Hoffnung, mich später auch mit ihnen niederlegen zu können. Und was tun sie? Sie lassen mich einfach sitzen mit meinem Benimmproblem. Nicht einmal auf schlechtes Benehmen ist mehr Verlaß. Spiele ich den coolen Draufgänger, dann geht das nach hinten los. Denn die junge Dame steht auf gute Mainieren und wendet sich ab vor soviel Barbarei. Und ich hätte schwören können, daß sie für jede Geste nichts als frostige Verachtung übrig gehabt hätte. Daß es ihr gefällt, wenn man ihr hinterherpfeift oder zufällig an ihrem Po entlangstreicht. Umgekehrt begehe ich vielleicht den fürchterlichsten Fauxpas, wenn ich einer anderen nach dem stilvollen Abendessen in den Mantel helfen will. Ihr eiskalter, verächtlicher Blick trifft mich und sagt: Das kann ich selber, Du Armleuchter. Der Abend ist gelaufen. Das haben wir nun von der Postmoderne der Gefühle: Anything goes. Es gibt eben keine verläßlichen Regeln mehr. Außer vielleicht eine: Der Mann macht immer nur alles falsch.

Müssen wir etwa die Umgangsformen ganz von vorne erlernen? Als hätten wir es mit unseren eigenen Großmüttern zu tun und nicht mit diesen aufgeklärten selbstbewußten Frauen, für die sie sich so gerne selbst halten. Also, was tun?

Schlag nach bei Knigge. "Einem weiblichen Wesen stellt sich selbstverständlich der Herr vor. Die Dame nennt dabei ihren Namen nicht, sie steht auch nicht auf, sondern verbeugt sich leicht und reicht dem Herrn ungezwungen die Hand." So steif ging es anno 1951 zu, jedenfalls in der Theorie. "Mit Messer und Gabel durch dick und dünn" hieß das entscheidende Kapitel über die Tischsitten. Wer mit einer Dame ausging, der mußte genau wissen, an welcher Stelle man die Artischocke leckt und wo man mit der Hummergabel bohrt, sonst war er ganz schnell untendurch. Für den heftigen Flirt schlug der Knigge die Formel vor: "Kommen Sie doch auf einen Tee zu mir." Wer heute so einen Spruch ausprobieren würde, der bekäme zur Antwort : "Und danach willst du mir wahrscheinlich deine Briefmarkensammlung zeigen, oder?"...

Als der Geschlechterkampf einem Ritterspiel glich, hatte alles noch seine Ordnung. Ich habe die Litanei in der Tanzstunde gelernt: Man kommt zur Verabredung mit einem Blumenstrauß. Man öffnet der Dame die Tür und läßt sie vorangehen. Und dann stiegen die schönsten Mädels bei diesem stadtbekannten, unrasierten Rüpel aufs Motorrad, der so unnachahmlich in der Nase bohrte und mit Vorliebe Dosenbier trank. Frauen, dachte ich damals, lieben's eben schlecht erzogen. Aber dann kam plötzlich die Zeit, in der meine Freundin anfing, sich über ein schlechtsitzendes Sakko zu mokieren und davon schwärmte, zur festlichen Opernpremiere ausgeführt zu werden. Als ich eine leise Widerrede wagte, bekam ich nur den schnöden Spruch zu hören: "Du weißt ja nicht, was einer Frau gefällt."

Ganz recht. Wer weiß heute schon noch, was einer Frau gefällt. Selbst im Bett ist alles ungewiß. Im schlimmsten Fall merkt man erst hinterher, ob beim Sex alle Anstandsregeln über den Haufen geworfen werden dürfen - oder ob gerade der intimste Moment die größte Höflichkeit und Rücksichtnahme erfordert hätte. Als wäre nicht auch so schon alles kompliziert genug. Nein, seit wir mit guten und schlechten Manieren beim anderen Geschlecht nicht mehr weiterkommen, mutieren wir zum Autisten. Lieber garnichts machen, als immer alles verkehrt machen. Die neuen Girlies wollen ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Sie sind unerzogen, rotzfrech und auch noch stolz darauf. Sie brauchen keinen Macker, der ihnen den Wagenschlag aufhält. Keinen, der ihnen Komplimente macht und den Wein verkostet. Na gut, sollen sie sich doch selbst aufreißen. Sie werden bald rauskriegen, wie mühselig das heutzutage ist. Ich jedenfalls bin spröde, wenn frau mir auf die ordinäre Tour kommt. Ein echter Mann will doch stilvoll umworben werden. Und der anderen Fraktion dieser überaus formvollendeten Damen schreibe ich ins Stammbuch: Ihr wißt ja nicht, wie gut eine Frau ein paar richtig schlechte Manieren stehen. Ich bin zwar schüchtern, aber gar nicht so pingelig, wie es scheint. Darf ich bitten!

Text: "Reißt euch doch selber auf" aus "Men's Health 10/96"
Autor: D. Haferkamp



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